„Das lernt man ein Leben lang“

Stefan Allgemein

von Stephan Holata

Diesen Satz sagte ein Bekannter von mir als er das erste Mal bei einem Training in unserem Dōjō mitgemacht hatte und seine Einschätzung ist gar nicht so falsch. Bujinkan Budō Taijutsu, die überlieferten Kampfkünste der Samurai und Ninja, zu lernen ist eine Lebensaufgabe. Selbst die Großmeister aus Japan und aller Welt, die bereits ihr ganzes Leben lang trainieren, entdecken immer weitere tiefere Ebenen in dieser traditionsreichen Kampfkunst. Ich selbst befinde mich noch am Anfang meiner Reise und möchte hier mein bisheriges Verständnis wiedergeben.

Zugegeben, wenn man von außen auf eine Trainingseinheit des Bujinkan schaut, scheint es doch recht unspektakulär. Es werden fest vorgegebene Bewegungsabläufe geübt und das immer und immer wieder.  Dabei wechseln sich die Partner ab, wer die Technik ausführt und wer sie empfängt. Während der Übung kann es auch mal passieren, dass der Trainingspartner fast schon akrobatisch durch den Raum fliegt. Im ersten Moment denkt man sich als Außenstehender, dass es nur funktioniert, weil der andere „mitspielt“ und, dass die Form in der Realität nicht funktioniert.

Diese Annahme ist dabei weder richtig noch falsch. Es kann in der Realität niemals genauso in dieser Schrittfolge funktionieren. Was hier stattdessen gelehrt wird und was man immer und immer weiter vertiefen kann sind Prinzipien. Es geht gar nicht darum den Gegner genau auf diese Art und Weise auszuschalten und dabei dem „Bauplan“ der Form zu folgen. Es geht darum, das Prinzip der Technik zu erkennen, zu verstehen und zu verinnerlichen. Hat man daraus einen Automatismus gebildet, kann man ihn später in der Hitze des Gefechts wieder abrufen, denn Zeit zum Überlegen hat man dann nicht mehr.

Ein Kernaspekt einer Kampfkunst wie dem Bujinkan war es, die Überlebenschance der Männer auf dem Schlachtfeld zu erhöhen. Man muss sich dabei bewusst machen, dass man sich im Krieg auf nichts vorbereiten kann. Es ist unmöglich jedem Soldaten für jede Situation, die möglicherweise auf dem Schlachtfeld eintreten kann, vorzubereiten. Selbst wenn man ihm für jede Situation einen Reaktionsplan mitgeben würde, würde er sobald eine Kleinigkeit von dem Plan abweicht, sofort ins Stocken geraten und nicht wissen wie er mit der neuen Situation umgehen soll. Die Lösung ist, zu lernen wie der eigene Körper und damit auch wie der Körper des Gegners funktioniert. Daraus wurden Formen geschaffen, die ein oder mehrere Prinzipien beinhalten die immer klappen. Sicher, nicht alle Menschen sind gleich groß oder schwer. Doch wenn man lang genüg mit verschiedenen Typen trainiert, bekommt man ein Gefühl dafür, wie man die Form bei größeren schwereren oder eben kleineren Gegnern anpassen muss, damit das Prinzip wieder greift. Alles was man jetzt noch tun kann ist üben, üben und noch mehr üben.

Es gibt im Bujinkan keine Abkürzungen, oder Crashkurse. Egal wie viele Videos man sich zu dem Thema ansieht, man wird nie wissen wie und vor allem warum eine Form funktioniert. Man kann es nur durch dauerhaftes Üben, und stetes Beobachten langsam lernen. Dies ist unter anderem auch ein Grund, warum im Bujinkan in den ersten Graden Techniken gelehrt werden, die einen oder mehrere besonders knifflige Details haben: damit man besonders lange Zeit hat sie üben. Diese Details fallen zunächst überhaupt nicht auf, da der Ablauf der Form meist so kurz ist, dass man die Schwierigkeit dahinter gar nicht wahrnimmt.

Doch gerade diese Abläufe sind es, die uns immer wieder vor Probleme stellen, obwohl sie von außen so simpel aussehen. Hier fängt bei vielen Anfängern der erste Frust an, aber auch diese Einstiegshürde ist kein Zufall. Jemandem eine Kampfkunst beizubringen erfordert eine Menge Zeit und viel Geduld des Lehrers. Es ist daher verständlich, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf diejenigen konzentrieren wollen, die nicht nur kommen, um etwas aus dem Dōjō mitzunehmen. Sondern auf diejenigen, die auch gewillt sind, sich in die Kampfkunst zu investieren, selbstständig zu üben und ihrerseits so dem Lehrer etwas zurückzugeben. Nur mit diesem Geben und Nehmen können sich beide auf ihrer jeweiligen Stufe weiterentwickeln.

Wer ein Dōjō betritt, mit dem Ziel etwas Bestimmtes zu lernen, wie zum Beispiel den Schwertkampf, der muss sich bewusst zu sein, dass er zunächst lange Zeit damit verbringen wird die Basis zu lernen. Bevor er damit nicht richtig umgehen kann, kann man ihm kein Schwert in die Hand drücken. Er würde nur sich selbst und andere verletzen. Dies bewirkt das einige schnell enttäuscht sind und sich abwenden, um nach einer anderen Möglichkeit zu suchen, bei der gleich bei Stunde eins mit der Waffe trainiert wird. Was dabei auf der Strecke bleibt ist vor allem die Kontrolle: Die Fähigkeit sich selbst und sein Können richtig einzuschätzen, um sich und andere beim Training nicht zu verletzen. Ganz abgesehen davon, dass sie sich das Erfolgsgefühl nehmen, wenn sie es sich verdient haben, nach vielen Trainingsstunden das Schwert hin die Hand nehmen zu dürfen.

Das Thema Selbsteinschätzung wird einem im Bujinkan-Training ständig vor Augen geführt. Selbst Techniken, die man schon oft gesehen und geübt hat, können beim nächsten Training, egal wie sehr man sich auch anstrengt, einfach nicht mehr klappen. Genau dann ist es wichtig, die Geschwindigkeit zu reduzieren, sich selbst zu beobachten und jede Kleinigkeit zu analysieren, bis man den Knackpunkt gefunden hat. Nur um dann, wenn man das nächste Mal nicht weiterkommt, genau das Gleiche wieder zu tun, um dann festzustellen, dass das Problem an einer ganz anderen Stelle sitzt.

Dieses intensive Beschäftigen mit kleinsten Bestandteilen einer Form, das lebenslange Lernen dieser Prinzipien, das ständige üben um das nächste Level erreichen zu können, sind Eigenschaften, die das Bujinkan so wirken lassen, als ob es komplett aus der Zeit gefallen wäre. Aber auch wenn es denn ein oder anderen abschrecken mag, dass man es ein Leben lang lernen muss, darf man dabei nicht vergessen: Es bleibt einem dann auch ein Leben lang.

Qui cessat volo impetro melior, cessat esse bonus.
Er der aufhört besser werden zu wollen, hat aufgehört gut zu sein

Stephan